Digitales Shopfloor-Management
Digitales Shopfloor-Management in der Montage
Die Digitalisierung gibt der Wirtschaft neue Impulse. Herstellungsprozesse wandeln sich, Logistik wird neu gedacht und auch der Vertrieb findet neue Wege, Kunden zu erreichen. Besonders die stetig zunehmende Automatisierung von Arbeitsabläufen steht immer wieder im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung; denn neben einer kosteneffizienteren Produktion und der daraus resultierenden Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit führt dies zu einer innerbetrieblichen Verlagerung von Arbeitsplätzen und deren inhaltlicher Ausrichtung. Selbst in den Domänen, in denen aufgrund ihrer Spezialisierung oder Komplexität bisher menschliche Arbeitskraft der effizienteste Weg der Produktion war, gewinnt der automatisierte Prozess durch ständige Weiterentwicklung immer mehr an Boden.
Die unausweichliche Folge davon ist von der direkten Arbeitskraft des Menschen unabhängige Fabriken. Ein Traum für jeden rein wirtschaftlich denkenden Unternehmer, der sich nicht mehr mit Fehltagen, Ermüdung oder zwischenmenschlichen Problemen befassen muss. Eine Dystopie allerdings für viele Angestellte, die ihre Existenz gefährdet sehen. Doch die wirtschaftlichen Zwänge, denen die Unternehmen ausgesetzt sind, lassen sich nicht wegdiskutieren. Beispielsweise sind im Bereich Metall und Elektro die Löhne in den letzten 5 Jahren über 15% gestiegen, währenddessen in der gleichen Zeit die Kosten für Robotersysteme sich um über 30% reduziert haben. „Diese stark gegenläufige Entwicklung erhöht den wirtschaftlichen Druck auf rein manuelle Tätigkeiten“, so Benjamin Kemper, Head of Industrial Engineering bei DRADURA Holding GmbH & Co.KG.
Insbesondere für bis dato häufig manuell durchgeführte Montageprozesse hat dies Konsequenzen: „Die manuelle Montage muss sich wandeln und die Chancen der Automation nutzen. Die unterschiedlichen Stärken von Mensch und Maschine müssen kombiniert werden, so dass sie sich optimal ergänzen“, stellt Prof. Andreas Merchiers von der Hochschule Bochum fest. Die Gründe dafür sind vielfältig, lassen sich aber gut identifizieren und eingrenzen:
- Steigende Variantenvielfalt: Kunden verlangen immer mehr Individualisierungsmöglichkeiten. Diese als Werker alle jederzeit abrufen und zügig umsetzen zu können, wird immer schwerer, erfordert lange Anlernzeiten und viel Übung.
- Steigende Qualitätsanforderungen: Dort wo manuelle Montage unumgänglich ist, darf ihre Qualität einer automatisierten Lösung in nichts nachstehen. Da menschliche Arbeit aber oft fehleranfällig ist, sind Maßnahmen erforderlich, die eine effektivere und effizientere Qualitätssicherung mit entsprechendem Controlling möglich machen.
- Mangelndes Fachpersonal: Fehlende Fachkräfte machen sich auch in der Montage bemerkbar. Gut ausgebildetes Personal ist – insbesondere an ausländischen Standorten - schwer zu finden. Die oben beschriebenen, stetig steigenden Anforderungen, machen diesen Mangel zudem kontinuierlich prägnanter.
Maßnahmen zur Effizienzsteigerung der manuellen Montage
Das Ziel einer Aufwertung der manuellen Montage muss eine Produktivitätssteigerung bei gleichzeitiger Prozesssicherheit sein. Nur wenn gewährleistet ist, dass die Qualität der Produktion im gleichen Maße steigt, wie deren Geschwindigkeit, ist eine entsprechende Maßnahme zweckmäßig. Eine zusätzliche Herausforderung stellt dabei die Beherrschung der immer komplexer werdenden Arbeitsschritte dar. „Es gibt zu viele Kombinationen von Einstellgrößen, um eine Anleitung zu schreiben,“ so der häufige Tenor der Verantwortlichen.
Grundlage einer hier ansetzenden digitalen Unterstützung sind Daten. Die stetig zunehmende Automatisierung, Sensorik & Aktorik sowie eine umfassendere Systemintegration führen dazu, dass bereits heute umfassende Mengen an Informationen im Bereich der Montage vorhanden sind. Diese auszuwerten, zu ordnen und vom Werker bis zum Produktionsplaner allen Beteiligten zugänglich zu machen, stellt einen der vielversprechendsten Ansätze für eine Effizienzsteigerung in der manuellen Montage dar. „Diese Daten bieten die Möglichkeit zur explorativen Visualisierung und schlussendlich auch für den Einsatz von künstlicher Intelligenz – über die Heuristiken der Lean-Welt hinausgehend zu verhaltensbedingten Vorschlägen auf Basis statistischer Auswertungen und Modelle,“ so Prof. Merchiers.
OEE in der manuellen Shopfloor-Montage
Wie lässt sich dieser Ansatz auf die manuelle Montage übertragen und schließlich sinnvoll in den Produktionsprozess integrieren? „Ein Ansatz hierzu ist die Kameratechnologie“, konstatiert Wolfgang Mahanty, einer der Erfinder des kognitiven Assistenzsystems ‚Schlauer Klaus‘ der Firma Optimum datamanagement Solutions GmbH. „In vielen Systemen kann diese bereits problemlos integriert werden und kommt damit auch immer häufiger zum Einsatz.“ Die Speicherung visueller Daten des Produktionsprozesses bilden einen elementaren Bestandteil des digitalen Schattens desselben.
Hierdurch lassen sich neben einem kontinuierlichen Qualitäts-Controlling der Montageprozesse diese weitaus detaillierter sequenzieren als dies in herkömmlichen, im ERP-System hinterlegten Arbeitspapieren der Fall ist – ohne dass es manuelle Rückmeldungen geben muss. Die so gewonnenen Informationen je Arbeitsschritt können mittels explorativer Visualisierung allen Beteiligten zur Verfügung gestellt und ausgewertet werden. Best Practices können schnell identifiziert und flächendeckend umgesetzt werden. Darüber hinaus bieten Ansätze der Künstlichen Intelligenz (KI) Prozesskorrekturen in Echtzeit. „Bei einer vom Normalzustand abweichenden Häufigkeitsverteilung von Fehlern lassen sich beispielsweise gezielte Maßnahmen durch „gelernte“ Fehler-Ursache-Korrelationen einleiten“, so Benjamin Kemper. Kameratechnik, Prozessdaten und KI-Auswertungen bilden dabei das Rückgrat eines kompetenten Assistenten, der dem Werker zur Seite steht und dessen Fähigkeiten kontinuierlich ergänzt und erweitert.
Die Grundlage dafür ist ein integrales Wissensmanagement, welches die verschiedenen Systeme des Shopfloors bündelt und koordiniert. Werkerzentriert und anwendungsoptimiert werden diese Systeme als Datenquellen für alle weiteren Prozesse in den digitalen Assistenten eingebunden. Dabei können zahlreiche, bisher eigenständige Verfahren Informationen beisteuern und im Gegenzug von Synergieeffekten profitieren. Auch die vollständige Integration ist an vielen Stellen möglich, sodass an einigen Stellen nur noch das digitale Assistenzsystem erforderlich sein wird:
- Die Daten der CAD-Software können direkt im Assistenzsystem hinterlegt werden. So stehen sie unternehmensweit zur Verfügung. Werker sowie Ingenieure können auf die detaillierten Informationen zu jedem Bauteil von jedem Arbeitsplatz aus zugreifen. Die visuellen wie technischen Daten dienen zudem als erste Blaupause für die Kontrolle aller Werkstücke.
- Durch die Echtzeitaktualisierung relevanter Informationen zum Produktionsdatenmanagement (PDM) können Strategien für das Product Lifecycle Management (PLM) schneller erkannt, überprüft und mit belastbaren Daten unterfüttert werden. So ist durch die ständige Sammlung relevanter Kennzahlen eine Überprüfung der bestehenden Effizienz ebenso möglich wie die Kontrolle der Zweckmäßigkeit neuer Maßnahmen.
- Auch die Qualitätskontrolle im Rahmen der CAQ wird in das Assistenzsystem eingebunden. Die ständige, automatische und in Echtzeit ablaufende Aktualisierung aller für den Werkprozess relevanten Informationen bietet eine ganze Reihe von Vorteilen:
- Die Prüfpläne sind stets aktuell.
- Die Informationen sind eine solide Basis für statistische Prozesskontrollen.
- Automatische i.O.-Buchung ersetzt manuelle.
- Fehlerhäufigkeiten und Fehlerkorrelationen können schneller erkannt und mit einer entsprechenden Software sogar automatisch aus großen Datensätzen ausgelesen werden.
- Entsprechend werden auch die Ansätze der ERP/APS-Maßnahmen durch die Assistenzsysteme effizienter. „In vielen Unternehmen spart allein die automatisierte Qualitätskontrolle 30 Prozent der Produktionszeit ein“, so Mahanty. Automatisieren und vereinfachen lassen sich:
- Checklisten und Dokumentation werden automatisch gefüllt und ausgelesen. Sie stehen zudem unternehmensweit zur Verfügung und verbessern die Nachprüfbarkeit der Qualitätskontrolle. Das beinhaltet auch die Rückverfolgbarkeit verbauter Komponenten durch
- Scanner sowie
- Kameratechnologie.
- Die Möglichkeit, kritische Montageschritte zurückzuverfolgen, und so eine effizientere Kontrolle und Fehlervermeidung zulässt, z.B.
- Drehmomentaufzeichnungen durch direkte Rückmeldungen vom Drehmomentschlüssel oder
- die Dokumentation von Einbausituationen durch Kameratechnologie.
- Automatische Updates und korrekte Versionierung von Bauteilkatalogen, Zeichnungen und Checklisten, die Zeit sparen und ein stets einwandfrei laufendes System sicherstellen.
- Checklisten und Dokumentation werden automatisch gefüllt und ausgelesen. Sie stehen zudem unternehmensweit zur Verfügung und verbessern die Nachprüfbarkeit der Qualitätskontrolle. Das beinhaltet auch die Rückverfolgbarkeit verbauter Komponenten durch
Informationen als Basis einer effizienteren manuellen Produktion
Durch detaillierte Montagefolgen und deren Bestätigung (Beyond ERP) wird ein Großteil der Verantwortung für einen erfolgreichen Arbeitsschritt vom Menschen auf die Maschine übertragen. Die automatische Gut/ Falsch-Erkennung durch die Kameratechnologie stellt sicher, dass keine abweichenden und im Zweifel fehlerhaften Montagereihenfolgen zum Einsatz kommen, als die nachweislich effizientesten. Durch die Visualisierung der Montageschritte (Guided Assembly) hat der Werker zudem stets eine genaue Vorstellung davon, was von ihm erwartet wird, auch ohne Vorerfahrung und Einlernzeit.
- Effektive Rückverfolgbarkeit erleichtert die Vermeidung von zukünftigen Fehlern. Eine damit einhergehende effiziente, automatisierte Dokumentation erbringt zudem ohne Mehraufwand den Nachweis, dass die Montage korrekt ausgeführt worden ist.
- Detaillierte Zeitrückmeldung dient als Basis für eine Messung der Gesamtanlageneffektivität (OEE).
- Explorative Visualisierung bietet die Möglichkeit, sowohl bisherige Best Practices Verfahren als auch ineffiziente Prozessabweichungen sicher zu identifizieren und zu optimieren.
- Know-how-Digitalisierung, um Wissen im Unternehmen zu halten, dass sonst mit den entsprechenden Mitarbeitern verschwinden würde. Durch ein Assistenzsystem steht dieser Erfahrungsschatz allen Mitarbeitern unternehmensweit und in Echtzeit zur Verfügung.
- Das Langfristziel ist die vollständige Transparenz und Entscheidungsunterstützung in Echtzeit auf dem Shopfloor.
Informationen zu den Personen
Andreas Merchiers ist Professor an der Hochschule Bochum.
Er lehrt und forscht im Bereich Produktionsmanagement und Technische Investitionsplanung. Zusätzlich ist er als Industrieberater tätig.
Seine akademische Ausbildung hat Andreas Merchiers an der RWTH Aachen mit der Promotion zum Dr.-Ing. abgeschlossen. Vorangegangen sind ein Maschinenbaustudium sowie ein wirtschaftswissenschaftliches Zusatzstudium.
Schwerpunktthemen seiner beruflichen Laufbahn bildeten stets die Herausforderungen produzierender Unternehmen: Die Umsetzung des Lean-Gedankens entlang der Wertschöpfungskette, die Gestaltung von Produktions- und Logistikstrukturen sowie die Einführung und Weiterentwicklung von Industrie 4.0 Anwendungen im Maschinenbau.
Benjamin Kemper ist Head of Industrial Engineering bei der DRADURA Holding GmbH & Co. KG.
Er hat sein Masterstudium des Wirtschaftsingenieurwesens 2014 am KIT in Karlsruhe abgeschlossen. Seine Abteilung ist für die Planung und Optimierung der Produktionen von sechs Standorten weltweit verantwortlich. Ein großer Fokus seiner Arbeit liegt auf der Steigerung der Produktivität in der Montage. Dies wird unter anderem durch die Automatisierung sowie den Einsatz von Assistenzsystemen erreicht.